Konzert am 23. März 2024 in der gfh (Besprechung noch nicht editiert)

Schwarze Magie
oder: bangemachen gilt nicht!

Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, „Kannibalismus auf eine einigermaßen appetitliche Weise zu erklären. Dies gelang dem klassischen Gitarristen Pablo Villafuerte am 23. März 2024 beim Hauskonzert in der gitarre foundation hamburg (gfh) auch nur mäßig. Aber für feinsinnige Hörer und Denker erschloss sich vielleicht doch, was es meinen könnte, wenn das gegenseitige „Auffressen“ musikalischer Stile, kompositorische Aneignung fremder Kulturen, ja, vielleicht auch das Auslöschen solcher gemeint sein könnte.
So wie der Rezensent es verstanden haben möchte, ging es um europäische versus brasilianische Musik, bis dato sprach man meistens von Crossover, wenn man Vermischungen oder Beeinflussungen besonders sti­lis­tischer oder kultureller Provenienzen meinte - manchmal passt in der Tat besser, „verschlingen, überstülpen“ oder eben „auffressen“. Zu gewagt in einer offenen Gesellschaft, wenn man Tatsachen ausspricht? Leonard Bernstein - bekannt? - sprach einmal in einem Interview, dass ein Komponist wohl „dumm wäre“, wenn er nicht in fremden Teichen fischen würden - oder so ähnlich.
Warum dieses „Vorspanngedrösel“ zu einem ganz normalen Hauskonzert der Sorte „StringArt“, das einmal mehr zeigen sollte, dass Musik „gegen den Strich“ unbedingt hierhin gehört, dass Ausprobieren und Experimentieren nicht nur ein Gradmesser, sondern auch ein Navigator sein kann. Tja, eben als kultureller Multiplikator fungieren kann.
’Runtergebrochen auf einzelne Stücke heißt es unter Umständen nicht mehr als (nix „Neues aus Waldhagen“), Transkriptionen (für einen bestimmten Zweck, für eine bevorzugte Besetzung oder beispielsweise in eine andere Haut zu schlüpfen) anzufertigen. Das gefällt dem Einen, der Anderen nicht!
Das Duo Sabiar, bestehend aus dem genannten Gitarristen und der Sopranistin Ana Carolina Coutinho, Herkunft Brasilien, leben derzeit in Deutschland, lernten teils auch dort - das ist für weitere musikalische Betrachtungen nicht unwichtig -, hat sich ein neues Programm mit Namen „Kannibachlismus“ ersonnen, mit dem sie in der gfh eine kleine Premiere einleiteten (für - wir können es hier gern verraten - einen Auftritt vor/mit größerem Auditorium im fernen nordrhein-westfälischen Hamm).
Sopran & Gitarre, welch eine edle Kombination, selbst wenn die Flöte in Verbindung mit dem Saiteninstrument auch nicht zu verachten ist, aber, Hand aufs Herz, woher die Stimme doch noch eher zu kommen scheint... Nun, genug geschwärmt, das Duo Sabiar (= Drossel) war vor knapp vier Jahren schon einmal zu Gast in der gfh, und vielleicht kamen deshalb diesmal (auch unangemeldet) so viele, dass es die kleinen, aber feinen Räumlichkeiten fast überforderte. Das Programmpapier sah nicht so aus, als würde ein reiner Duo-Vortrag geboten werden, vielmehr „befürchtete“ man, wie es oftmals üblich ist, eine Aufteilung in Duo- und Gitarre-Soloparts. Aber weit gefehlt! Selbst das Entrée, Bachs »Präludium« aus der letzten Violinsuite BWV 1006 hatten die beiden Künstler umgebachtelt (um im Bild zu bleiben) und zur Sologitarre eine Gesangsversion geschrieben, die sich auf die wesentliche Melodiestimme reduzierte. Nicht ohne der Vokalistin Koloraturpassagen zu bieten. Schade dass die Gitarre hier einen kurzen Blackout hatte an dem ansonsten perfekten folgenden Gesamtspiel.
Ein geschickter und nahtloser Übergang zur »Aria« aus den Bachianas Brasileiras von Villa-Lobos, was schon fast familiär anmutete: Bach - Bachianas; dazu muss man nichts mehr schreiben!
Thematisch blieb das Programm konsequent, was noch einmal von beiden Künstlern ausgesprochen angenehm moderiert wurde, Natur, Kultur, darin indigener Kult, aber auch Rituale und Tod. Von Camille Saint-Saëns »Danse Macabre«, den man als Hexentanz verstehen könnte und hören konnte mit schon greifbarer Wucht im Vortrag, dagegen »Der Tod und das Mädchen« von Franz Schubert, und vordem vom selben Komponisten das Natur-Event »Blumensprache« oder mystisch, vielleicht auch „undergroundig“ »Café« von Piazzolla, das nicht den Tango, sondern eher seine Atmosphäre beschreiben sollte. Es sind eben auch Abschiede gemeint, die in der Programmüberschrift stecken, wo vielleicht auch der Ton im Halse stecken bleibt. Können wir so Musik genießen? Ein Vertreter avantgardistischer Klänge, ja Getöse, meinte einmal, dass Maschinenlärm eben auch zu unserer Welt, zu unserem Alltag und deshalb zur Musik dazugehöre. Adieu Schönklang, aber nicht für immer!
Das letzte Stück »Canibaile« des Brasilianers Guinga, den sicher nur ausgewiesene Bossa-Fans mit portugiesischem Pass kannten, bewegte sich wieder auf begehbaren Pfaden, die noch breiter bei der Zugabe »Baião de quatro toques« von Luiz Tatit (*1951) wurden. Da soll noch einer sagen, Brasilien sei ein fröhliches Land... Beim Umtrunk und beim späteren Italiener danach wurde ausgiebig diskutiert, und es war wohl keinem der Schmaus, warum auch immer, vergangen! [Red/PeM.]